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Mais für die Welt - DIE ZEIT 19.08.2004 Nr.35
#1
wieder mal ein herrlich grausliges Dossier der Zeit. DIE ZEIT 19.08.2004 Nr.35: S. 11-14
Zitat:Gen-Food
Mais für die Welt


Genetisch aufgerüstet und hoch gezüchtet, ist Mais zum ertragreichsten Nahrungsmittel geworden. Preis des Siegeszuges: Raubbau an der Natur in Afrika, Schaden für die Bauern in Mexiko – und US-Bürger, die immer dicker werden

Von Christiane Grefe
Auszüge
Zitat: Am Mais verdienen viele. Nur nicht die Farmer. [...] Unter dem Diktat niedriger Preise müssen sie immer mehr produzieren, damit sich ihre hohen Investitionen besser rechnen – die zugleich nötig sind, damit sie mehr produzieren können…

Jedes Jahr zahlen sie neu für hybrides Saatgut, der wissenschaftliche Aufwand der Züchter hat seinen Preis. Auch die Pacht wird teurer, weil die Farmer untereinander verbissen um jeden freien Quadratmeter kämpfen. Hinzu kommen die Kosten für Maschinen und Fahrzeuge. [...] Fuhrpark aus Saatautomaten, Traktoren und Mähdreschern, mächtig wie Kriegselefanten. »Nur zehn Prozent gehören uns, der Rest gehört der Bank.«
[...]
Für die industrielle Fleischproduktion liefert Mais, vermischt mit eiweißreicher Soja, die optimierte Formel. Rund zwei Drittel der amerikanischen Jahresproduktion von fast 257 Millionen Tonnen Mais werden verfüttert. Amerikaner essen zwar auch Cornflakes und Popcorn. Aber hauptsächlich essen sie Mais in Form von Eiern, Milch und Fleisch.

So ist das billige Getreide vor allem eines: der Rohstoff der Wohlstandsernährung, die sich den Luxus leistet, im großen Stil zehn Getreidekalorien in eine Fleischkalorie zu verwandeln. »[...] Maiswirtschaft [...] die von mächtigen Konzernen angetrieben wird. Die Firma Cargill zum Beispiel macht alles, weltweit: Mais, Schweine, Dünger, Supermärkte, Preise. Und die Bauern schaufeln nur noch das Rohmaterial rein.«
[...]
Weniger Zeit, weniger Geld, weniger harte Arbeit in der Sommerhitze – das sind für die Bauern auch bei so genannten »Round-up Ready«-Pflanzen die stärksten Vorteile. Sie wurden gentechnisch unempfindlich gemacht gegen das Unkrautvernichtungsmittel »Round-up«, das im Paket gleich mitverkauft wird. [...] Vor allem bei Soja hätten sich mancherorts Resistenzen gegen das Turboherbizid entwickelt; das Gleiche drohe dem Mais, behauptet der Agrarökonom Charles Benbrook, einst Umweltberater im Weißen Haus.

So müsse am Ende doch öfter Chemie aufs Feld. [...] Es seien also [2003] rund 50 Millionen Pfund mehr Herbizide gesprüht worden als vor der Einführung der High-Tech-Pflanzen. Der ewige Wettlauf zwischen Natur und Züchtern lässt sich wohl auch mit der Gentechnik so leicht nicht gewinnen.
[...]
Joe Horan ist in Sachen Gentechnik sogar schon weiter. [...] Horan baut jetzt Mais an, der dank Gentechnik den Wirkstoff für ein Medikament gegen zystische Fibrose produziert, [...] Diese Art der Herstellung sei 14-mal billiger als die synthetische, erklärt er. Ein zweiter Test im Auftrag einer Universität gilt einem zukünftigen »Antidurchfallmais«. »Beispielsweise in Afrika: Wäre es nicht wunderbar«, begeistert sich der Farmer, »wenn Kinder dort morgens eine Schüssel Cornflakes essen könnten und dann nicht mehr krank würden?« Aber wäre es nicht sinnvoller, gesundes Wasser bereitzustellen? »Das versuchen sie doch seit Jahrzehnten«, winkt Horan ab.
[Super!!! Da brauchen wir doch auch gar keine Laktase oder so was mehr... esst Anti-Durchfall-Mais und eure Probleme sind weg! Habt euch nicht so! >;) Die können in Afrika ruhig verseuchtes Wasser trinken, hauptsache, wir können ihnen unsren 'Verstofungsmais' andrehen... aua, aua, aua]

Trotz ausgefeilter Sicherheitsmaßnahmen keimte vor zwei Jahren das Maiskorn einer Pharmapflanze unverhofft in der Gerste, die als Folgefrucht auf dem Experimentierfeld wuchs. »Die Natur drängt zur Vermehrung«, so erklärt Joe Horan das Phänomen.
[Mehr Zynismus geht nicht, oder???]
»Aber die gute Nachricht lautet: Wir haben die Pflanze noch vor der Pollensaison gefunden.« Bei der Vorstellung, dass solche Pharmaeigenschaften durch Auskreuzung auf Nahrungspflanzen übertragen werden könnten, schaudert es selbst Befürworter der Gentechnik.
[Danke!!! Immerhin!]
[!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!]
In die Kritik geraten ist der Mais in den USA auch als Dickmacher. High-Fructose-Maissirup, der in Amerika Brotsorten, Salatsaucen und Limonaden süßt, könnte nach Studien der University of California und der Louisiana State University den Stoffwechsel noch schneller als Zucker wieder auf Appetit schalten. Der eigentliche Grund für die zunehmende Fettleibigkeit in den USA, sagt der Buchautor Michael Pollan, sei aber der Überfluss an billigen Lebensmitteln. Erst die Maismassen erlaubten es den Konzernen, Cola in Riesenflaschen abzufüllen, Hamburger und »Tostitos« in »Supersize« ins Regal oder aktentaschengroße Steaks in die Kühltruhe zu packen. Dass man am billigen Rohstoff kaum verdienen kann, zwinge außerdem dazu, Lebensmittel industriell aufzupeppen.
[!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!]
»Das Spiel geht so«, schreibt Pollan. »Wie mache ich aus Mais, der einen Penny wert ist, eine Tüte Gingko-Biloba-verstärkten-die-Gehirnfunktionen-verbessernden Puffmais zu drei Dollar?«
[!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!]
»Der Bauer kriegt von einer Drei-Dollar-Tüte Puffmais nur zwölf Cent«, sagt Joe Horan. Viele haben längst aufgegeben. [...]

Der technische Fortschritt hat die Ernten gesteigert und die Arbeit der Farmer von körperlicher Anstrengung und dem Makel des »Dreck-Farmers« befreit. Aber sind sie dafür nicht längst zu Gefangenen der Modernisierung geworden? Nur noch Zulieferer der Nahrungs-, Benzin- und Pharmakonzerne und keine Bauern mehr? Joe Horan denkt eine Weile nach, dann sagt er: »Auch wenn einer bei IBM Fenster putzt, ist er noch immer ein Fensterputzer.«
[Gegenmodell:]
»Wir sind Campesinos«, sagt Baldemar Mendoza Jimenez – so nennen sich die Kleinbauern Mexikos –, »und wir wollen Campesinos bleiben.« Durch kniehohes Gestrüpp führt der Weg zu Jimenez’ Feldern. Hier im Süden des Landes, auf 2100 Meter Höhe im Hochland von Oaxaca, wachsen verschiedene Maissorten nebeneinander. Struppig, chaotisch, die einen höher, die anderen niedriger. Dazwischen Kürbisse, Bohnen, Kräuter und Früchte, für ausgewogene Mahlzeiten und um den Boden nicht einseitig zu belasten.
[...]
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Kaum jemand bestreitet mehr, dass das Bt-Gen gegen den Maiszünsler in eine Vielzahl der mexikanischen Landrassen des Mais vorgedrungen ist.
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[...]
Weiteren Aufschluss über das GVO-Dilemma hätte eine Studie der Umweltabteilung der Nafta bringen sollen. Doch statt der geplanten Veröffentlichung im Juni blieb sie bis auf weiteres unter Verschluss; auch aufgrund eines Vetos der Amerikaner. Man sei einfach noch nicht fertig, heißt es im Nafta-Büro. Vertrauen schafft das nicht.
[...]
Denn niedrige Preise, hohe Schulden, den Zwang zum Immermehr – ökonomischen Druck kennen Bauern auch in Europa, auch in Bayern. Auf dem Hof in Riegerau hat der rothaarige, rotwangige Albert Grandl über Jahrzehnte den Siegeszug des Mais erlebt, der längst nicht mehr nur im Winter, sondern das ganze Jahr über gefüttert wird: »Auf der Weide stehen unsere Kühe nur mehr zum Spaß.« Die Milchproduktion konnte vor allem deshalb von 4000 auf 8000 Liter pro Tier und Jahr gesteigert werden. Auch bei der Milch trägt der Mais zu einer Produktschwemme bei, die mit Exporthilfen auf internationalen Märkten entsorgt wird.
[...]
so sieht George Naylor von der National Family Farm Coalition die grüne Agrarpolitik in Europa; seine Farm liegt in Churdan, Iowa. »Dann kauft ihr am Ende doch unseren Mais, denn so billig wie wir könnt ihr nie produzieren. Ihr genießt dann eure grüne Insel – und an unseren umweltzerstörenden Monokulturen ändert sich nichts.« Oder an jenen in Ländern mit riesigen Flächen von Südafrika bis Brasilien, von der Ukraine bis Indien, die immer mehr in die weltweite Agrarexport-Konkurrenz treten. Zu welchem Preis? Profitieren dort tatsächlich die Armen? Oder leiden gerade sie unter der konzentrierten Agrarindustrialisierung?
[...]
Sollten Staaten ihre Agrarmärkte doch weiterhin abschotten dürfen, wenigstens teilweise, um einen bestimmten Produktionslevel im eigenen Land zu schützen, eine gewünschte Qualität, ihre Lebensmittelsicherheit, ihre Kultur, ihre Natur? Vor allem, und vor allem in der Dritten Welt: um ihren Kleinbauern ein Überleben zu ermöglichen, die biologische Vielfalt am ehesten gewährleisten?

Ist diese Frage bloß nostalgisch? Oder ist sie gar zynisch, weil das hieße, Armut auf dem Land zu konservieren? Aber wie viel elender ist das zukunftslose Leben der Landflüchtigen in den Slums? Wie kann man das bäuerliche Wirtschaften modernisieren? Grenzenloser Freihandel gegen »Lebensmittelsouveränität«: dass zwischen diesen extremen Positionen noch eine Menge Fragen ungeklärt sind, auch das zeigt der Mais.

Traut man den Erzählungen des Popol Vuh, wird die Menschheit Antworten finden. Denn darin heißt es über die Maismenschen: »Vernunft war ihnen gegeben … sie erreichten, alles zu sehen … groß war ihre Weisheit.«

Na denn... Wohl bekomm's! Und der letzte Satz zeigt nur wieder, dass auch schon die Indios der menschlichen Hybris unterlagen, vielleicht ist der Mensch das Vernunftbegabte Wesen, allein, wir sind zu faul, zu bequem zu lethargisch, uns dessen zu bedienen!!

In diesem Sinne: „Sapere Aude!“
Womit wir es oft zu tun haben?
Mit "Leidenden, die es sich selbst nicht eingestehen wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungslosen, die nur eins fürchten: zum Bewußtsein zu kommen." (Nietzsche 1887)
Antworten
#2
46/2004


Staatlicher Pfusch am Ackerbau

Mit Zugeständnissen an rebellierende Bundesländer will die Regierung ihr neues Gentechnikgesetz endlich verabschieden. Weitere Konflikte brodeln bereits

Von Hans Schuh

Die einen feiern die Technik, die anderen blockieren sie. Und mittendrin schlingert der Bundeskanzler. Beispielhaft zeigte sich dies in der vergangenen Woche in Berlin. Dort hatte am Mittwoch die Acatech, Deutschlands akademische Vertretung der Technikwissenschaften, zu einer Festversammlung geladen. Vor 800 Gästen aus Forschung und Wirtschaft beschworen illustre Redner die Notwendigkeit von Innovationen in der Nano-, Bio- und Gentechnik: Acatech-Präsident und Ex-BMW-Chef Joachim Milberg, Altbundes-präsident Roman Herzog und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Letzterer beklagte, in Deutschland würden die Risiken der Gentechnik stärker hervorgehoben als die Chancen. Auch im Bundestag gebe es »eine Zurückhaltung bezüglich aller Fragen der Gentechnologie«. Dies schwäche die Forschung und Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. Darum forderte der Kanzler »eine neue Balance in der Debatte über die Gentechnik«.

mehr? : http://zeus.zeit.de/text/2004/46/Gentechnik

Uli
Antworten


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