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ernährung: wenn essen krank macht
#2
...fortsetzung...

Zuckerbomben. Wenn die Verträglichkeitsgrenzen überschritten werden, gerät der Darm aus dem Gleichgewicht, und Beschwerden wie Bauchweh, Blähungen und Durchfall sind die Folge. Diese Grenzen sind zwar sehr individuell, doch gilt als Richtwert, dass zehn Gramm Fruktose pro Mahlzeit auch von empfindlichen Menschen toleriert werden. Daran gemessen sind ein kleiner Apfel mit etwa sechs Gramm Fruktose oder fertige Fruchtsäfte mit 2,5 bis drei Gramm pro Zehntelliter wahre Fruchtzuckerbomben. Bei Empfindlichkeit hilft nur sorgfältiges Rechnen und bei Überempfindlichkeit weit gehende Vermeidung der potenziell krankmachenden Süßstoffe. Wer dagegen Milchzucker schlecht verträgt, muss sich angewöhnen, mit Tabellen zu hantieren, die den Laktosegehalt von Nahrungsmitteln angeben, und zugleich ein Auge auf eine ausreichende Kalziumzufuhr haben.

Dass die Aufnahme von Grundnahrungsmitteln wie Obst, Zucker, Milch, Getreide plötzlich zum Problem werden kann, hängt jedoch nicht nur mit den additiven Effekten der Überversorgung zusammen, sondern auch damit, dass beispielsweise Obst gezielt auf Süße gezüchtet wird oder Getreide auf einen hohen Gehalt an Gluten, der das Brot schmackhafter macht und länger frisch erhält.

Mit solchen Umstellungen Schritt zu halten fällt einem Verdauungssystem, das sich über Jahrtausende entwickelt hat, naturgemäß nicht leicht. Schließlich ist unsere genetische Ausstattung ein Echo archaischer Ernährungsverhältnisse.

Während etwa Laktoseintoleranzen in Skandinavien und Nordeuropa kaum eine Rolle spielen, verträgt in unseren Breiten ein Viertel der Bevölkerung Milch und Milchprodukte schlecht bis gar nicht. In Asien und Afrika sind nahezu alle Menschen laktoseintolerant. Die Ursache liegt im Vitamin-D-Bedarf des menschlichen Organismus. Im Süden konnten Menschen das lebenswichtige Vitamin mithilfe der Sonneneinstrahlung stets selbst bilden. Bei ihrer Ausbreitung nach Norden entwickelten sie vor etwa 3000 Jahren die genetische Anlage, sich das lebensnotwendige Vitamin aus der Milch zu holen.

Entsprechend sind die traditionellen Ernährungsgewohnheiten in den jeweiligen Regionen und Ländern an die genetische Disposition angepasst. In Asien und Afrika enthalten die Speisezettel kaum Milchprodukte. Joghurt in der Türkei enthält weniger Laktose als heimischer Joghurt; traditioneller griechischer Feta kommt fast ohne Laktose aus, italienischer Parmesan und Mozzarella ebenso.

Nutrigenomics. Aber die genetischen Variationen betreffen nicht allein Völker, sondern jeden einzelnen Menschen. „Eine Unzahl von Genen wirkt in der Stoffwechselregulation mit“, sagt Markus Hengstschläger, Leiter der Abteilung für Medizinische Genetik an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde. „Und jedes Gen hat einen eigenen Aktivitätsgrad. Wenn nun das Gen für jenes Enzym, das einen bestimmten Nahrungsbestandteil abbaut, besonders aktiv ist, ist dieses Enzym im Organismus reichlich vorhanden. Ist das Gen weniger aktiv, dann kann es zu einem Enzymmangel kommen.“

Ein Schwerpunkt von Hengstschlägers Forschung liegt auf der Identifizierung von Genen, die Fehlernährung verursachen können. Das zugehörige Stichwort lautet „Nutrigenomics“: Menschen künftiger Generationen sollen nach einer Genanalyse die Möglichkeit erhalten, bewusst mit den Besonderheiten ihrer Veranlagung umzugehen und ihren Organismus optimal zu versorgen. Dies könnte nicht nur den von Nahrungsmittelunverträglichkeiten Betroffenen helfen, sondern auch all jenen, die an einer ererbten Disposition für eine schleichende Schädigung durch Nahrung leiden – beispielsweise einem Hang zu Fettleibigkeit, kardiovaskulären Erkrankungen oder Allergien. Schon ab der Geburt ließe sich dann entsprechend gegensteuern.

Gerade bei Kindern nehmen Allergien seit einigen Jahren rapide zu, berichtet Zsolt Szépfalusi, Leiter der klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Unausgewogenheiten in der Ernährung, individueller Lebensstil und übertriebene Hygiene tragen dazu bei: „Wir leben offensichtlich so, dass Allergien eher ausbrechen können“, sagt der Kinderarzt.

Im frühen Kindesalter sind Unverträglichkeiten gegenüber Fruktose oder Laktose indes selten. Nur in vereinzelten Fällen fehlen von Geburt an die entsprechenden Abbauenzyme. Normalerweise können Säuglinge Laktose gut verwerten. Doch lässt diese Fähigkeit schon in der Kindheit nach und bildet sich je nach geografischer Herkunft und individueller Anlage mehr oder weniger zurück. Im Erwachsenenalter führt mitunter eine ererbte Tendenz – ähnlich wie bei Südländern – dazu, dass die Enzymbildung im Darm überhaupt zum Stillstand kommt. In der Folge wird Milchzucker kaum noch oder gar nicht mehr verdaut – und versetzt den Magen- und Darmtrakt in Aufruhr.

Giftstoffe. Eine Gefahr für die Kinder ortet Karl Zwiauer, Leiter der Kinder- und Jugendabteilung im Landesklinikum St. Pölten, überdies in der Schadstoffbelastung von Nahrungsmitteln. Sowohl werdende Mütter als auch Säuglinge sollten nichts zu sich nehmen, das mit Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden, Insektiziden oder Düngemitteln kontaminiert ist. „In der kindlichen Entwicklung gibt es für jedes Organ bestimmte Fenster, in denen es für schädliche Einflüsse besonders empfindlich ist. Wenn Kleinkinder etwa durch die Nahrung Umweltchemikalien aufnehmen, hemmt das nachweislich die Hirnentwicklung.“ Zwiauer und die Ernährungsexpertin Ingrid Kiefer plädieren deshalb für biologische Nahrung.

Auch nicht immer zum Vorteil der Reizdarmpatienten sind jene Untersuchungsmethoden, die angewendet werden, um den Ursachen auf die Spur zu kommen. „Das hat mit der Vergütungspraxis der Krankenkassen zu tun“, meint Gastroenterologe Gasché. „Die praktischen Ärzte verordnen bei Reizdarmbeschwerden Röntgenuntersuchungen, weil die Kassen dafür bereitwillig zahlen.“ Doch seien das veraltete Untersuchungen, die bei funktionellen Störungen wie Nahrungsunverträglichkeiten keinen Sinn ergäben. „Dagegen zahlen die Kassen für Magen- und Darmspiegelungen, die in der Erstdiagnostik gemeinsam mit Funktionstests etwas bringen würden, so geringe Honorare, dass sie nicht annähernd kostendeckend sind.“ Diese Untersuchungen würden daher zu wenig in Kassenordinationen angeboten, und das führe zu überlasteten Ambulanzen.

Darüber hinaus werden von den Kassen in der Regel weder die gängigen Atemtests noch die Honorare für die Leistung eines Diätologen übernommen. Doch gerade die Beratung der Patienten durch einen Diätologen sei nach Meinung nahezu aller Experten unverzichtbar. „Zumal nur wenige Ärzte in dieser Hinsicht geschult sind“, behauptet Gasché und fügt hinzu: „Da wird dann allzu schnell die Psyche als Auslöserin der Symptome bemüht.“

Psychische Folgen. In der Tat wäre allein eine ausgeprägte Nahrungsmittelunverträglichkeit schon Grund genug, um deprimiert zu sein. Manche Erkrankte planen ihre Wegstrecken so, dass sie bei Bedarf immer schnell eine Toilette erreichen können. Doch überdies gibt es einen klaren biochemischen Zusammenhang zwischen mangelhafter Fruktoseabsorption und Depression, den der Innsbrucker Ernährungsmediziner Maximilian Ledochowski erforscht hat: „Der im Dünndarm nicht resorbierte Fruchtzucker blockiert die Aufnahme jener essenziellen Aminosäure, aus der sowohl das Glückshormon Serotonin als auch das Schlafhormon Melatonin gebildet wird. So kommt es zur Depression.“

Von der Warte der Psychiatrie aus erkundet hingegen Manfred Stelzig vom Salzburger Landeskrankenhaus das metabolische Wechselspiel zwischen Körper und Seele. „Wir schauen uns an, welche persönlichen Konfliktsituationen und Überforderungen mit der Nahrungsmittelunverträglichkeit zusammenwirken“, so Stelzig. Ein neues psychisches Beschwerdebild, die so genannte Orthorexie, erfasst jene Menschen, die „vor lauter Gesund-essen-Wollen krank werden“.
Wenn du dich über andere Mitmenschen ärgerst, dann sage dir "sie sind nur zu meiner Unterhaltung da"... Big Grin
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ernährung: wenn essen krank macht - von Manu (Wien) - 20.11.2006, 10:52
ernährung: wenn essen krank macht - von Uli - 20.11.2006, 12:57

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