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Gehen Sie erst ins Kino
#1
stern.de - 29.4.2006 - 15:22
URL: http://www.stern.de/lifestyle/kueche/559927.html?nv=cb


"We feed the World"

Gehen Sie erst ins Kino

Aus Brot wird Müll.
Täglich wird es bergeweise fortgeworfen. Das geht, weil Weizen so billig ist. Denn der kommt aus Indien, wo Millionen von Menschen ... Aber sehen Sie einfach den Film


von Bert Gamerschlag

Man kann niemanden verdonnern, sich zu informieren. Nur appellieren oder höflich bitten. Also bitte, versäumen Sie nicht den Film We Feed the World. Aber Vorsicht, er könnte Ihre Ernährungsweise ändern.

Was sehen Sie denn so - "Verliebt in Berlin" (Sat 1)? "Verbotene Liebe" (ARD)? "Lotta in Love" (Pro 7)? Geliebte Vorabendserien, so richtig fürs Herz. Aber gehen Sie doch auch mal wieder ins Kino. Da läuft seit dem 27. April bundesweit ein Liebesfilm, in dem Sie mitspielen. Ja, Sie. Wir alle spielen mit, so wir in den vergangenen Wochen bei Real, Aldi, Penny, Edeka, Rewe, Lidl und so weiter eingekauft haben, also das machen, was wir immer machen und so lieben: billig einkaufen.


Der Film beginnt mit einem modernen Kornfeld, unkrautfrei, ein quasi ethnisch gesäubertes Pflanzenfeld. Und er endet mit Peter Brabeck, dem Chef von Nestlé, des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns. Er war so mutig, vor die Kamera zu gehen, und sagt, für uns sei die Welt niemals besser gewesen als heute: "Wir haben alles, was wir wollen, und (sind doch) psychologisch in einer Trauerstimmung." Das kann der Nestlé-Chef nicht verstehen. Vielleicht sollte er sich den Film ansehen. Dann würde er kapieren, vielleicht.

Brot ist billig wie Dreck
"We Feed the World" - so heißt der Dokumentarfilm von Erwin Wagenhofer. Was sieht man nun? Nichts Grausames, nur das System. Das System der Lebensmittelindustrie, erläutert von Jean Ziegler, dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Man sieht, wie Brot auf offenen Kippern nachts durch die Stadt Wien auf den Müll gefahren wird. Überflüssiges Brot. Jede Nacht wird in Wien so viel Brot auf den Müll gefahren wie die Stadt Graz, Österreichs zweitgrößte Stadt, verbraucht. Es ist billig wie Dreck.

Man sieht einen Topmann der weltgrößten Saatgutfirma Pioneer, der sich daran macht, die Landwirtschaft Rumäniens zu verderben, des zweitgrößten europäischen Agrarlands nach Frankreich. Erst hat seine Firma die Landwirtschaft "im Westen versaut", sagt er in die Kamera, nun mache sie sich daran, "die im Osten zu versauen". Mit Saatgut für Produkte, die schön aussehen, aber nach nichts schmecken. Persönlich wünscht er sich, die Rumänen würden sein Saatgut nicht kaufen, denn bei ihnen laufe alles noch ideal, aber als Konzernmann verkauft er sein Zeug gleichwohl, die Entwicklung sei eh nicht mehr aufzuhalten.

Statt Wald Sojafelder für die Fleischmast
Man sieht Brasilien aus der Luft, und zwar den Mato Grosso, zu Deutsch großer Wald. Der band einmal viel CO2, das Treibhausgas. Der Mato Grosso, sieht man, ist jetzt nicht mehr da. Wo er war, sind Sojafelder für die Fleischmast in Europa, die Schnitzel so billig machen, dass wir jeden Tag Schnitzel essen. Man sieht Südspanien aus der Luft, wo unsere Tomaten wachsen - Plastikplanen, so weit das Auge reicht. Und darunter afrikanische Wanderarbeiter, von europäischen Dumpingexporten als Bauern ruiniert und in die Ferne getrieben. 3000 Kilometer reist jede Tomate, deren Transport so billig ist, dass er nur ein Prozent der Regalpreise ausmacht. Man sieht das CO2 auf den Autobahnen aus den Lkws in die Luft dieseln und den Globus wärmen.

Man sieht Supermarkthühnchen in ihrem Produktionszyklus vom Brutkasten bis zur verpackten Fleischware. Süße kleine gelbe Küken. Hei, wie das Fließband mit denen umgeht und wie sie acht Wochen später von Hühnerhenkern kopfüber ans Schlachtband gehängt werden. Wie flott das geht - im Maschinenbau sind wir doch immer noch unschlagbar.

Sehen Sie sich das an. Na kommen Sie, nur einmal. Sind doch nur 96 Minuten. Danach können Sie sich wieder vor den Fernseher setzen, "Verbotene Liebe" gucken und weiter träumen. Wenn Sie es noch können.
Antworten
#2
SPIEGEL ONLINE - 29. April 2006, 16:04
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,413878,00.html
Globalisiert und geschmacksfrei

Treibhaustomaten und Brotvernichtung

Von Britta Sandberg
Küken in Massenproduktion, Brotberge, die vernichtet werden müssen: Die Wohlstandsgesellschaft kommt mit dem Essen nicht mehr hinterher. Der Film "We feed the world" zeigt die Auswüchse der Nahrungsmittelindustrie. SPIEGEL TV spürte der Lebensmittelvernichtung nach.
Hamburg - Der in dieser Woche in den deutschen Kinos angelaufene, österreichische Dokumentarfilm "We feed the world" widmet dem Thema ganze 90 Minuten. In Österreich läuft er seit Wochen mit großem Erfolg. Der Film des Regisseurs Erwin Wagenhofer beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, ob es eigentlich normal ist, was im Jahre 2006 alles mit Lebensmitteln gemacht wird.


Ist es normal, dass in der Stadt Wien täglich tonnenweise Brot vernichtet wird? Dass Tomaten oft ihr Leben lang keine Erde mehr unter ihren Wurzeln haben? Dass ein Land wie Rumänien nun Hybrid-Saatgut-Auberginen anpflanzt? Dass hochsubventioniertes Gemüse aus Europa letztendlich zu Schleuderpreisen auf einem Markt in Dakar landet? Dass Nestlé-Chef Peter Brabeck vorschlägt, Wasser zu einem Verkaufsartikel zu machen?
So sollte es wohl eigentlich nicht sein - und trotzdem ist die Industrialisierung von landwirtschaftlicher Produktion unaufhaltbar mit all ihren unangenehmen Folgen. Es sei denn, es gäbe einen Konsumentenstreik. Aber der ist nicht in Sicht. Und so werden weiter tonnenweise Tomaten, die nur noch nach Wasser schmecken, in spanischen Treibhauslandschaften gezüchtet und Fische, die man niemals essen sollte, verkauft. Oder weggeschmissen.
Eichenchips im Wein
Im Biowerk Hamburg, dem modernsten seiner Art in Deutschland, wird aus den Abfällen der Wohlstandsgesellschaft zumindest noch neue Energie gewonnen. Dort werden Lebensmittelabfälle seit Montag dieser Woche verfeuert. Die gewonnene Energie beheizt unter anderem die Hamburger Color-Line-Arena. In Gießen durchsuchen jede Nacht junge Leute Lebensmittelcontainer vor Supermärkten nach Essbarem. Sie finden regelmäßig so viel, dass sie davon eine ganze Woche lang leben können. "Containern" heißt der Fachausdruck für diese Art der Lebensmittelversorgung.
Im Süden Deutschlands kämpft ein tapferer Winzer einen einsamen Kampf:gegen die Vereinheitlichung des Weingeschmacks und für eine Vinifizierung ohne künstliche Aromen. Seine Winzerkollegen in Kalifornien haben sich über solche Skrupel längst hinweggesetzt. Sie versetzen ihren Rot- und Weißwein gern mit sogenannten "oak chips" - kleinen Eichenchips, die in verschiedenen Graden "getoastet" dem Wein zu mehr Geschmack verhelfen. Ganz schnell und unkompliziert. Ohne aufwendige Lagerung im Eichenfass. Wahlweise gibt es die Chips auch mit Vanillegeschmack. Denn im Wein liegt schon lange nicht mehr nur die Wahrheit. Schöne neue Lebensmittelwelt!
Mehr dazu im SPIEGEL TV Magazin am Sonntag, 30. April, um 22.20 Uhr, RTL.
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#3
Wir essen die Welt
Für billige Lebensmittel nehmen die Konsumenten alles in Kauf – von der Tierquälerei bis zur Rodung der Urwälder
Von Marcus Rohwetter
Früher brauchte ein Schwein fast drei Jahre, bis es schlachtreif war. Heute sind es sechs Monate. Ein frisch geschlüpftes Küken endet nach 38 Tagen als Chicken Nugget in der Friteuse. Es sind keine Tiere, sondern Produkte. Optimiert für schnelles Wachstum und reibungslose maschinelle Weiterverarbeitung. Sie sind Objekte derselben industriellen Logik, die Gummi in Autoreifen verwandelt und Rinder in Hackbraten. Wir wissen es, und wenn nicht, so ahnen wir es zumindest.
Warum also vermag der Dokumentarfilm We feed the world so viel Empörung auszulösen? Er zeigt doch nichts anderes als die Realität moderner Nahrungsmittelproduktion. Wer billiges Fleisch essen will, überall und zu jeder Zeit, der sollte dankbar sein. Er wird bei uns prompt bedient.
Weiterlesen???? ( es lohnt!)
http://zeus.zeit.de/text/2006/20/01_leit_1_neu

Uli
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#4
Empoerung? Na klar, die kocht immer hoch, wenn man in den Spiegel blickt und erkennen muss, dass man selbst mitverantwortlich ist... Zitat:
Zitat:Die Verbraucher müssten sich dann wohl davon verabschieden, dass manch eine Wurst weniger kostet als ein Glas Mineralwasser. Wer umsichtig hergestellte Lebensmittel will, kann sie bekommen, auch zu einem bezahlbaren Preis. Wer aber so billig wie irgend möglich einkaufen möchte, der soll nicht in den Film We feed the world gehen und sich anschließend darüber empören, er habe nichts von alledem geahnt. Dann soll er sagen: Ja, ich weiß um den Preis, aber er ist mir egal.
Das war deutlich und ich werde jetzt auch zusehen, dass ich den Film ansehe - auch wenn ich denke, ich wusste fast alles schon. Lohnt bestimmt!

Gruss, Martin
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