SPIEGEL ONLINE - 14. August 2006, 13:06
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US-Studie
Immer mehr Babys fettleibig
Die Fettsucht greift in den Industrienationen immer weiter um sich. In den USA sind einer neuen Studie zufolge sogar Babys zunehmend betroffen. Ein US-Experte fordert gar die Einführung einer Kaloriensteuer, um das Volk zu gesunder Ernährung zu motivieren.
Ein rundes Gesicht und kräftige Ärmchen werden von Eltern gern als Zeichen dafür gewertet, dass ihre Sprösslinge kerngesund sind. Doch Mediziner finden manche Pausbäckchen inzwischen entschieden zu dick. In den USA ist eine immer schneller steigende Zahl von Säuglingen sogar von Fettleibigkeit betroffen, heißt es jetzt in einer Untersuchung.
Das Fachblatt "Obesity" berichtet in seiner jüngsten Ausgabe von einer Langzeitstudie der Harvard Medical School, bei der die Gewichtsverhältnisse von mehr als 120.000 Neugeborenen und Kleinkindern über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet wurden. Daraus ergab sich, dass 5,9 Prozent der Babys unter sechs Monaten im Jahr 2001 als fettleibig einzustufen waren, während der Anteil 20 Jahre zuvor noch bei 3,4 Prozent lag.
Mehr als jedes zehnte Baby in den USA (11,1 Prozent) ist übergewichtig, die nach der Fettleibigkeit zweithöchste Einstufung. Die Gefahr eines gravierenden Übergewichts liegt bei Schwarzen und Einwanderern aus Lateinamerika statistisch deutlich über dem Schnitt, ebenso wie in den sozial schwachen Milieus, schreiben die Forscher um Matthew Gillman von der Harvard Medical School.
Besorgniserregend sei das vor allem deshalb, weil es einen starken Zusammenhang zwischen stattlichen Rundungen in jungen Jahren und Fettleibigkeit im späteren Leben gebe. Die aktuelle Untersuchung bestätige dies erneut. "Die Ergebnisse dieser Studie zeigen sehr deutlich, dass die Ursachen des Übergewichts am Anfang des Lebens liegen", sagte Gillmann. Frühere Untersuchungen deuteten darauf hin, dass übergewichtige Mütter verstärkt Kinder mit höheren Gewicht zur Welt bringen.
Als Maßstab für die zunehmende Verfettung der Babys und Kinder werden keine absoluten Gewichtsvergleiche herangezogen, da die durchschnittliche Körpergröße sich über die Jahrzehnte verändert. Vielmehr dient der Body Mass Index (BMI) als Maßstab, bei dem das Gewicht durch das Quadrat der Körpergröße geteilt wird. Diesem Maßstab zufolge sind in den USA etwa 30 Prozent der Erwachsenen fettleibig und insgesamt 65 Prozent übergewichtig.
Experte: Mehr Dicke als Hungrige auf der Welt
Der US-Professor Barry Popkin hat unterdessen vor den Folgen des globalen Trends zur Fettleibigkeit gewarnt. Inzwischen gebe es weltweit mehr übergewichtige als unterernährte Menschen, sagte Popkin auf der Jahreskonferenz der International Association of Agricultural Economists im australischen Brisbane. Der Übergang von einer Welt des Hungers zu einer Welt des Übergewichts sei "mit dramatischer Geschwindigkeit" erfolgt. Derzeit stünden eine Milliarde Übergewichtige rund 800 Millionen Unterernährten gegenüber.
"Fettleibigkeit ist die globale Norm", sagte Popkin, der an der University of North Carolina lehrt. "Unterernährung ist in einigen Ländern zwar immer noch wichtig, aber nicht mehr das vorherrschende Leiden." Das extreme Übergewicht und die mit ihm verbundenen Krankheiten breiteten sich mittlerweile von den Reichen auf die Armen aus, und das nicht nur in städtischen, sondern auch in ländlichen Gebieten in aller Welt.
China stehe exemplarisch für den globalen Trend: Das Land habe seine Ernährung massiv von Getreideprodukten auf tierische Erzeugnisse (
vor allem Milch !!!!!
Neue Absatzmärkte erschließen.....Uli .) und pflanzliche Öle verlagert, während körperliche Arbeit seltener werde. Zudem benutzten immer mehr Chinesen motorisierte Transportmittel und säßen öfter vor dem Fernseher, sagte Popkin.
Bisher hätten alle Staaten darin versagt, die richtige Antwort auf den Übergewichts-Boom zu finden. Popkin schlägt deshalb vor, die Verbraucher über die Lebensmittelpreise zu gesünderem Verhalten zu bewegen. "Wenn es zum Beispiel eine Abgabe auf jede Kalorie in Süßgetränken und Fruchtsäften gäbe, würden die Menschen weniger davon konsumieren", so der Professor. Um die finanzielle Belastung zu begrenzen, könne man im Gegenzug die Obst- und Gemüseproduktion subventionieren.
mbe/AFP