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ernährung: wenn essen krank macht
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Ernährung: Wenn Essen krank macht. Intoleranzen bleiben oft jahrelang unerkannt
Probleme mit Substanzen wie Fruchtzucker, Milch, Weizen oder Allergenen - und mit Fehldiagnosen

Bei jedem dritten Österreicher rebelliert der Körper gegen Fruchtzucker, jeder vierte verträgt keine Milch, andere reagieren überempfindlich auf Weizen oder Allergene – und häufig sind die störenden Substanzen gerade in angeblich gesunden Produkten wie Joghurts und Light-Getränken enthalten. Viele Patienten erdulden einen jahrelangen Leidensweg – oder gelten schlicht als psychisch krank.

Der Organismus des Wiener Unternehmers schien verrückt zu spielen: Vor vier Jahren litt der heute 62-Jährige an massiven Darmkrämpfen, schweren Blähungen, plötzlichen Durchfällen. „Ich dachte schon, ich hätte Krebs“, erinnert sich der Patient. „Ich ging zum Arzt, doch der konnte nichts finden. Dann konsultierte ich weitere Ärzte, bis mich einer den Atemtest für Laktoseintoleranz machen ließ.“

Der Test war positiv, und dem Wiener wurde zwecks Therapie ein Diätplan ausgehändigt, in dem kein Nahrungsmittel vorkam, das Milchzucker, also Laktose, enthielt. An der Ordinationstür meinte die Schwester: „Hoffentlich haben Sie nur das und nicht auch noch das andere.“ – „Wie merke ich das?“, wollte der Mann wissen, und die Frau erwiderte: „Wenn Sie die Milch weglassen, und es wird nicht besser, ist es das andere.“

Ein halbes Jahr verging, und es trat tatsächlich kaum eine Besserung ein. Kein Arzt wusste Rat. Da fiel dem Unternehmer die Bemerkung der Schwester wieder ein: „Als ich mich erneut testen ließ, stellte sich heraus, dass sie Recht hatte: Ich vertrage auch keine Fruktose, also Fruchtzucker.“

Heute lebt der Betroffene beschwerdefrei, wenn auch in seiner Lebensqualität eingeschränkt: „Fast keine Milchprodukte, gerade ein bisschen Hartkäse, kein Obst. Im Restaurant ist in nahezu jedem Gericht etwas, das mir Probleme verursacht.“ Den Genuss von Wein will er sich nicht ganz versagen, doch der hat seinen Preis: „Durchfall am nächsten Tag.“

Reizdarm. Undiagnostizierte Nahrungsmittelunverträglichkeiten treiben viele Betroffene oft über Jahre hinweg erfolglos von Arzt zu Arzt. Die lästigen bis quälenden Symptome reichen von Bauchschmerzen über Durchfälle, Verstopfungen und Darmentzündungen bis hin zu Ausschlägen und Depressionen. Gelingt es nicht, die Ursache zu finden und wirkungsvolle Therapien einzuleiten, werden die Patienten zumeist jener Gruppe zugeordnet, die mit unspezifischen „abdominalen Beschwerden“ unter dem Sammelbegriff „Reizdarmerkrankung“ die gastrologischen Praxen füllt.

„Bei uns sind das heute 30 bis 40 Prozent der Patienten“, erklärt Christoph Gasché, Professor für Gastroenterologie an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin. „Das hat sehr stark zugenommen.“ Auf die Gesamtbevölkerung umgelegt, leiden etwa 13 Prozent der Österreicher an dem Syndrom.

Aber immer mehr dieser Patienten erweisen sich in Wahrheit als Opfer entgleister physiologischer Reaktionen auf einen oder mehrere Nahrungsbestandteile. Die verbreitete Annahme, dass den körperlichen Symptomen seelische Überreizung zugrunde liege, lässt Gasché kaum gelten: „Nach derzeitigem Wissensstand ist die oft mit Nahrungsunverträglichkeit verbundene Depression eher eine Folge der Erkrankung und nicht ihre Ursache.“

Ein halbes Leben dauerte die medizinische Odyssee der heute 50-jährigen Herta Tutz: „Ich war trotz gesunder Ernährung immer schon krankheitsanfällig.“ Als Kind musste die Steirerin viel Müsli essen, mit Milch, geriebenem Apfel und Honig. Was gut gemeint war, wurde ihr zum Verhängnis: „Vor 17 Jahren wurde bei mir Osteoporose diagnostiziert.“ Der Grund: Eine unerkannte Laktoseintoleranz hatte ihren Dünndarm so angegriffen, dass die entzündete Darmwand Kalzium nicht mehr aufzunehmen vermochte. Der Organismus holte sich das lebenswichtige Mineral daraufhin aus den Knochen. Mit strikt milchfreier Diät und Zusatzgaben von Kalzium wurden die Knochen der Frau zwar wieder fester, aber ihr Allgemeinzustand verschlechterte sich trotzdem bis zur Arbeitsunfähigkeit. „Ich hatte überall Entzündungen, von den Gesichtsnerven über die Gelenke bis zum Herzbeutel“, berichtet Tutz.

Schließlich suchte sie die auch traditionell chinesisch geschulte Ärztin Yali Sui in Graz auf: „Die sagte mir sofort: Sie haben nicht nur eine Unverträglichkeit gegen Laktose, sondern auch gegen Fruktose.“ Mit Akupunktur, chinesischen Kräutertees und spezieller Diät hätten sich die Beschwerden allmählich gelegt, berichtet Tutz – und auch die Empfindlichkeit habe abgenommen: „Mittlerweile vertrage ich zum Beispiel wieder Mandarinen.“

Spärliche Daten. Als sich herausstellte, dass auch ihre Tochter Sarah, 28, auf Fruchtzucker empfindlich reagiert, begann Tutz, sich intensiv mit dem Thema Ernährung zu befassen. Das Resultat ist ein Ratgeber für eine Küche ohne Milch- und Fruchtzucker (siehe Buchtipps, Seite 130), dessen theoretischen Teil die Ernährungswissenschafterin Ingrid Kiefer, Dozentin an der Medizinischen Universität Wien, verfasst hat. Kiefer begründet die Schwierigkeit, zu einer korrekten Diagnose zu gelangen, mit der „spärlichen Datenlage“. Bildlich gesprochen beiße sich die Katze in den Schwanz: „Ohne Diagnosen ist es schwer, Daten zu erheben, und ohne Daten gibt es keine Diagnosen.“

Spezialisten, die sich mit Nahrungsunverträglichkeiten befassen, wissen indessen aus der Praxis, dass viele der zunächst mysteriösen Verdauungsbeschwerden messbare Ursachen haben und dass im Übrigen oft auch gesunde Menschen hohe Dosen bestimmter Nahrungsbestandteile nicht gut vertragen. Ob eine Unverträglichkeit von Fruktose oder Laktose gegeben ist, lässt sich über einen so genannten H2-Atemtest ermitteln. Dieser zeigt nach Verabreichung einer Testdosis Fruchtsaft oder Milch an, ob in der ausgeatmten Luft Wasserstoff enthalten ist. Bei gestörtem Frucht- oder Milchzuckerstoffwechsel wird im Darm Wasserstoff frei und gerät über den Blutkreislauf in die Atemluft (siehe Grafik Seite 126).

Die gestörte Verwertung von Milchzucker und Fruchtzucker durch den Organismus ist nicht die einzige Problemreaktion auf Substanzen aus der täglichen Nahrung. Für die anderen – hauptsächlich Allergien, und die Unverträglichkeit von Histamin wie auch des im Getreide enthaltenen Klebereiweißes Gluten, die Zöliakie – gibt es aber immerhin gut etablierte Routinediagnosen.

In Österreich ist etwa jeder Vierte von Laktoseintoleranz und jeder Dritte von der so genannten Fruktosemalabsorption betroffen. Beide Störungen haben ihren Ursprung im Dünndarm. Die Laktoseintoleranz ist schon seit Langem bekannt. Dabei handet es sich um einen Mangel des Milchzuckerabbauenzyms Laktase in der Darmmembran, der bewirkt, dass der Milchzucker nicht in die vom Körper als Energieträger verwertbaren Zuckerformen Galaktose und Glukose aufgespalten werden kann.

Aufnahmestopp. Indessen hat erst in den neunziger Jahren der Ernährungsmediziner Maximilian Ledochowski, heute Vorstand der Abteilung für Ernährungsmedizin an der Universität Innsbruck, die Bedeutung der gestörten Fruktoseaufnahme erkannt. Laut Ledochowski beruht die Fruktoseunverträglichkeit darauf, dass ein Defekt des molekularen Fruktosetransportvehikels GLUT-5 die Weitergabe des Fruchtzuckers über die Dünndarmwand an den Blutkreislauf verhindert.

Wenn Milchzucker und Fruchtzucker im Darm verbleiben, werden sie dort von Bakterien vergoren, was zu Gasentstehung und Veränderung des Stuhlgangs führt. Verglichen mit diesen weit verbreiteten Zuckeraufnahmestörungen sind die anderen Unverträglichkeiten seltener, aber immer noch häufig genug: An Allergien auf Lebensmittel leiden in Österreich ein bis zwei Prozent der Bevölkerung; an einer Unverträglichkeit von Histamin etwa drei Prozent; an der Zöliakie, einer Unverträglichkeit des im Getreide enthaltenen Klebereiweißes Gluten, 0,2 Prozent der Menschen. Von dieser genetischen Störung wird jedoch angenommen, dass bis zu drei Prozent sie latent in sich tragen.

Nicht selten treten mehrere Empfindlichkeiten zugleich auf. Für die Betroffenen resultieren daraus gravierende Einschränkungen bei der Speisenauswahl. Wer etwa wegen einer kombinierten Milch- und Fruchtzuckerunverträglichkeit auf Obst, Fruchtsäfte, Wein, Milchprodukte und viele Fertigwaren verzichten muss, braucht Geduld und Fantasie, um sich trotzdem mit allem zu versorgen, was der Körper benötigt.

Insgesamt ist laut einer 2002 im „Journal of Gastroenterology“ veröffentlichten Analyse von 1281 Probanden mindestens jeder Fünfte von wiederkehrenden oder ständigen Beschwerden betroffen, die im Zusammenhang mit der Nahrungsverdauung stehen. Dies resultiert nicht zuletzt aus historischen Entwicklungen: Im Jahr 1820, berichtet Professor Gasché, betrug beispielsweise der durchschnittliche Zuckerkonsum in Mitteleuropa rund zwei Gramm Rohrzucker pro Kopf und Jahr. Hundert Jahre später waren es 20 Kilogramm – ein Zuwachs, der auf die Einführung des billigeren Rübenzuckers zurückzuführen war. Ein fast ebenso bedeutender Wandel vollzog sich, vom Konsumenten kaum registriert, in den vergangenen Jahrzehnten: Bei der industriellen Herstellung von Nahrungsmitteln wurde der gewohnte Haushaltszucker zu einem beträchtlichen Teil von Fruchtzucker und seinem Verwandten, dem Fruchtzuckeralkohol Sorbit, abgelöst.

Dies gilt nicht nur für Backwaren und Süßigkeiten, sondern auch für jene Produkte, deren Genuss gesund und schlank machen soll: so genannte Functional Foods. Spezialjoghurts, Stärkungsriegel und Wellnessdrinks weisen auf ihren Etiketten hohe Anteile von Fruchtzucker aus. Bei Diabetikernahrung wie auch bei Diät- oder Light-Limonaden wiederum sorgt Sorbit für die gewünschte Süße. Während der Körper den traditionellen Haushaltszucker (Saccharose) anstandslos resorbiert – und davon allerdings dick wird –, nimmt er Fruktose nur begrenzt auf und Sorbit gar nicht.
Wenn du dich über andere Mitmenschen ärgerst, dann sage dir "sie sind nur zu meiner Unterhaltung da"... Big Grin
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ernährung: wenn essen krank macht - von Manu (Wien) - 20.11.2006, 10:51
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