24.02.2005, 08:25
in der heutigen Tageszeitung:
Fälscher am Werk
Lösungsmittel: Ministerium muss Merkblatt korrigieren
„Ich freue mich so“, sagt Peter Röder. „Das ist genial.“ Der 41-jährige gelernte Schreiner hat gerade einen großen Sieg errungen und einer Reihe von namhaften Medizinprofessoren ihre Grenzen aufgezeigt — wenn auch erst nach jahrelangem Kampf.Es geht um eine komplizierte wissenschaftliche Materie, es geht um die möglicherweise bewusste Falschdarstellung einer Berufskrankheit, und es geht vor allem um eine möglicherweise sechsstellige Zahl kranker Menschen, die jetzt wenigstens auf ihre Rente hoffen können. Das alles verbirgt sich hinter dem kargen Kürzel BK-Nr. 1317 (wir berichteten).Diese Zahlen- und Buchstabenkombination kann für alle Menschen eine existenzielle Bedeutung bekommen, die mit Lösungsmitteln zu tun haben oder hatten. Und die Liste dieser Berufe ist lang: Maler, Lackierer, Tankwarte, Arbeiter in Schuhfabriken, Teppichleger, Drucker und so weiter.Denn Lösungsmittel können zu schweren Gesundheitsstörungen führen, selbst wenn die zulässigen Grenzwerte in den einzelnen Firmen nicht überschritten werden. Für sie gibt es die Namen toxische Enzephalopathie und toxische Neuropathie: Das sind Störungen der Hirnleistung und Nervenschäden, die zu einer großen Reihe von organischen Problemen führen können, zum Beispiel am Herzen.Giftige SubstanzenWer daran leidet, kann in vielen Fällen nicht mehr arbeiten und sollte Rente von der Berufsgenossenschaft bekommen. Das hat der wissenschaftliche Sachverständigenbeirat des Gesundheitsministeriums bereits 1997 so festgelegt. Peter Röder aus dem unterfränkischen Gössenheim bei Karlstadt, schon zur Lehrzeit den giftigen Substanzen ausgesetzt, sah sich als solchen Fall und wurde wie üblich erst einmal zu einem Gutachter an der Erlanger Universität, einem Professor, geschickt.Doch da erlebte er eine bitterböse Überraschung: Der diagnostizierte kein beruflich bedingtes Leiden. Nachdem Röder keinen Kontakt mit Lösungsmitteln mehr hatte, so argumentierte der Hochschullehrer, habe es keine Besserung gegeben. Das habe aber so sein müssen, wenn die Substanzen Auslöser des Leidens gewesen wären.Schlichte ArgumentationDas ist für einen Universitätsdozenten eine mehr als schlichte Argumentation, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Denn Nerven vergessen keine Schädigung, das ist eine medizinische Binsenweisheit. Röder wollte sich mit dem Gutachten nicht abfinden: Er gründete eine Initiative kritischer Umweltgeschädigter, wühlte sich durch die medizinische Fachliteratur und telefonierte mit Gott und der Welt — vor allem mit anderen Betroffenen und Arbeitsmedizinern.Die Wahrheit kam scheibchenweise ans Licht: Der Sachverständigenbeirat des Gesundheitsministeriums hatte die vorhandenen Studien durchaus richtig ausgewertet und in seiner Empfehlung ausdrücklich gesagt, dass sich Lösungsmittel-Leiden nach Ende des Kontakts nicht bessern müssen, sondern sogar verschlechtern können. Daraufhin erstellte eben jener Sachverständigenbeirat ein Merkblatt für die arbeitsmedizinischen Gutachter.Und nun fangen Merkwürdigkeiten an, die den damaligen Gesundheitsminister Norbert Blüm heute von „organisierter Falschdarstellung “ sprechen lassen. Denn in diesem Merkblatt, nach dem sich die Ärzte richten müssen, findet sich eben jener unsäglich falsche Hinweis auf zwingende Besserung von Lösungsmittelleiden nach Ende des Kontakts. Es lohnt sich, einen etwas längeren Blümschen Satz mit Sorgfalt zu lesen: „Ich halte es für unerträglich, dass eine kleine Gruppe gut organisierter Gutachter mittels Fälschung der wissenschaftlichen Grundlagen eines Spezialgebietes die Beschlüsse der Bundesregierung und die gerichtliche Prüfung unterlaufen, um das Interesse der Versicherungen (Berufsgenossenschaften), das im Sachverständigenbeirat sich wegen der eindeutigen wissenschaftlichen Informationslage nicht hatte durchsetzen können, doch noch über das Allgemeinwohl zu stellen.“ Dazu muss man wissen: Einige hochrangige deutsche Arbeitsmediziner haben einen miserablen Ruf, darunter einer der Merkblatt-Autoren . Von Beraterverträgen mit der Industrie ist die Rede, manch einer wurde gerichtskundig. Und von hoch dotierten Fachvorträgen. Eben jene Industrie finanziert die Berufsgenossenschaften durch Beiträge: Weniger Rentenzahlungen sparen also bares Geld. Die Honorare für die Gutachter kommen wiederum von den Berufsgenossenschaften. Deren Hauptverband hält sich hier lieber bedeckt: Blüm vermische Politik mit Fakten, „da möchte ich lieber nichts dazu sagen“, wehrt Otto Blume, Leiter des Referates Berufskrankheiten, ab.Fakt ist: Es gab den haarsträubenden Fehler; er ist jetzt korrigiert. Das neue Merkblatt wird wahrscheinlich in diesem Monat veröffentlicht, und jeder Gutachter wird sich schwer tun, es zu umgehen. So spricht auch der Münchner Rechtsanwalt Rainer Kegel, der Lösungsmittelgeschädigte vertritt, von einer „erfreulichen Entwicklung“, die es den Betroffenen leichter mache. Auch Peter Röder will davon profitieren: Er gehört zu denen, die jetzt auf Rente hoffen.
Informationen im Internet:www.bk1317.de
DIETER SCHWAB 24. 2. 2005
Betroffene erleben meist einen wahren „Spießrutenlauf“ durch alle Instanzen und ich erinnere mich mit Grauen an einen sogenannten „Fachvortrag“ von einem sogenannten „Umweltmediziner“ zum Thema MCS L vor etwa 4 – 5 Jahren.... X(
>> ...das sind „teure“ Patienten; die wollen immer was und wir finden nichts. Man kann ihnen höchstens eine Psychotherapie empfehlen....<<
Fein – bevor man Patienten Glauben schenkt und ihnen zuhört, steckt man sie lieber in die „Psycho-Schublade“!!!!
Uli
Fälscher am Werk
Lösungsmittel: Ministerium muss Merkblatt korrigieren
„Ich freue mich so“, sagt Peter Röder. „Das ist genial.“ Der 41-jährige gelernte Schreiner hat gerade einen großen Sieg errungen und einer Reihe von namhaften Medizinprofessoren ihre Grenzen aufgezeigt — wenn auch erst nach jahrelangem Kampf.Es geht um eine komplizierte wissenschaftliche Materie, es geht um die möglicherweise bewusste Falschdarstellung einer Berufskrankheit, und es geht vor allem um eine möglicherweise sechsstellige Zahl kranker Menschen, die jetzt wenigstens auf ihre Rente hoffen können. Das alles verbirgt sich hinter dem kargen Kürzel BK-Nr. 1317 (wir berichteten).Diese Zahlen- und Buchstabenkombination kann für alle Menschen eine existenzielle Bedeutung bekommen, die mit Lösungsmitteln zu tun haben oder hatten. Und die Liste dieser Berufe ist lang: Maler, Lackierer, Tankwarte, Arbeiter in Schuhfabriken, Teppichleger, Drucker und so weiter.Denn Lösungsmittel können zu schweren Gesundheitsstörungen führen, selbst wenn die zulässigen Grenzwerte in den einzelnen Firmen nicht überschritten werden. Für sie gibt es die Namen toxische Enzephalopathie und toxische Neuropathie: Das sind Störungen der Hirnleistung und Nervenschäden, die zu einer großen Reihe von organischen Problemen führen können, zum Beispiel am Herzen.Giftige SubstanzenWer daran leidet, kann in vielen Fällen nicht mehr arbeiten und sollte Rente von der Berufsgenossenschaft bekommen. Das hat der wissenschaftliche Sachverständigenbeirat des Gesundheitsministeriums bereits 1997 so festgelegt. Peter Röder aus dem unterfränkischen Gössenheim bei Karlstadt, schon zur Lehrzeit den giftigen Substanzen ausgesetzt, sah sich als solchen Fall und wurde wie üblich erst einmal zu einem Gutachter an der Erlanger Universität, einem Professor, geschickt.Doch da erlebte er eine bitterböse Überraschung: Der diagnostizierte kein beruflich bedingtes Leiden. Nachdem Röder keinen Kontakt mit Lösungsmitteln mehr hatte, so argumentierte der Hochschullehrer, habe es keine Besserung gegeben. Das habe aber so sein müssen, wenn die Substanzen Auslöser des Leidens gewesen wären.Schlichte ArgumentationDas ist für einen Universitätsdozenten eine mehr als schlichte Argumentation, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Denn Nerven vergessen keine Schädigung, das ist eine medizinische Binsenweisheit. Röder wollte sich mit dem Gutachten nicht abfinden: Er gründete eine Initiative kritischer Umweltgeschädigter, wühlte sich durch die medizinische Fachliteratur und telefonierte mit Gott und der Welt — vor allem mit anderen Betroffenen und Arbeitsmedizinern.Die Wahrheit kam scheibchenweise ans Licht: Der Sachverständigenbeirat des Gesundheitsministeriums hatte die vorhandenen Studien durchaus richtig ausgewertet und in seiner Empfehlung ausdrücklich gesagt, dass sich Lösungsmittel-Leiden nach Ende des Kontakts nicht bessern müssen, sondern sogar verschlechtern können. Daraufhin erstellte eben jener Sachverständigenbeirat ein Merkblatt für die arbeitsmedizinischen Gutachter.Und nun fangen Merkwürdigkeiten an, die den damaligen Gesundheitsminister Norbert Blüm heute von „organisierter Falschdarstellung “ sprechen lassen. Denn in diesem Merkblatt, nach dem sich die Ärzte richten müssen, findet sich eben jener unsäglich falsche Hinweis auf zwingende Besserung von Lösungsmittelleiden nach Ende des Kontakts. Es lohnt sich, einen etwas längeren Blümschen Satz mit Sorgfalt zu lesen: „Ich halte es für unerträglich, dass eine kleine Gruppe gut organisierter Gutachter mittels Fälschung der wissenschaftlichen Grundlagen eines Spezialgebietes die Beschlüsse der Bundesregierung und die gerichtliche Prüfung unterlaufen, um das Interesse der Versicherungen (Berufsgenossenschaften), das im Sachverständigenbeirat sich wegen der eindeutigen wissenschaftlichen Informationslage nicht hatte durchsetzen können, doch noch über das Allgemeinwohl zu stellen.“ Dazu muss man wissen: Einige hochrangige deutsche Arbeitsmediziner haben einen miserablen Ruf, darunter einer der Merkblatt-Autoren . Von Beraterverträgen mit der Industrie ist die Rede, manch einer wurde gerichtskundig. Und von hoch dotierten Fachvorträgen. Eben jene Industrie finanziert die Berufsgenossenschaften durch Beiträge: Weniger Rentenzahlungen sparen also bares Geld. Die Honorare für die Gutachter kommen wiederum von den Berufsgenossenschaften. Deren Hauptverband hält sich hier lieber bedeckt: Blüm vermische Politik mit Fakten, „da möchte ich lieber nichts dazu sagen“, wehrt Otto Blume, Leiter des Referates Berufskrankheiten, ab.Fakt ist: Es gab den haarsträubenden Fehler; er ist jetzt korrigiert. Das neue Merkblatt wird wahrscheinlich in diesem Monat veröffentlicht, und jeder Gutachter wird sich schwer tun, es zu umgehen. So spricht auch der Münchner Rechtsanwalt Rainer Kegel, der Lösungsmittelgeschädigte vertritt, von einer „erfreulichen Entwicklung“, die es den Betroffenen leichter mache. Auch Peter Röder will davon profitieren: Er gehört zu denen, die jetzt auf Rente hoffen.
Informationen im Internet:www.bk1317.de
DIETER SCHWAB 24. 2. 2005
Betroffene erleben meist einen wahren „Spießrutenlauf“ durch alle Instanzen und ich erinnere mich mit Grauen an einen sogenannten „Fachvortrag“ von einem sogenannten „Umweltmediziner“ zum Thema MCS L vor etwa 4 – 5 Jahren.... X(
>> ...das sind „teure“ Patienten; die wollen immer was und wir finden nichts. Man kann ihnen höchstens eine Psychotherapie empfehlen....<<
Fein – bevor man Patienten Glauben schenkt und ihnen zuhört, steckt man sie lieber in die „Psycho-Schublade“!!!!
Uli