die nächste Saison kommt bestimmt
- die beiden Artikel sind schon "alt" - aber wohl immer noch aktuell....
Aus >der Zeit<... :]
24/2003
SO VIEL GELB WAR NIE
Erlebnispflanze
Von Susanne Wiborg
Die Begegnung war unerwartet, einseitig und eher ein olfaktorischer Frontalangriff. Als ich auf den Parkplatz des Einkaufscenters kam, lief ich in eine Wand aus schwerer, stumpfer Süße. Ein überraschendes, stechendes Kratzen beim Einatmen machte mich jäh mit Schleimhäuten und Nebenhöhlen bekannt, von denen ich bis dato noch nicht einmal wusste, dass ich sie überhaupt besitze, ein ebenso jäher Niesanfall riss mir fast die neu erworbenen Rosmarintöpfe aus den Händen. Tränenden Augens blickte ich auf und sah, was ohnehin nicht zu übersehen war: ein Rapsfeld, schrillgelb bis zum Horizont, von einer flimmernden Aureole aus Pollen überzogen.
In unseren Breiten dürfte es keine Kulturpflanze geben, die sich einen derart dramatischen Auftritt leistet wie Brassica napus zur Blütezeit: grelle Alarmfarbe, massive Wogen von faulig unterlegter Süße, würgende Pollenwolken, die biologischer Kriegsführung bedenklich nahe kommen, das Ganze akustisch untermalt vom warnenden Summen unzähliger Bienenvölker.
Fürwahr eine Rundum-Erlebnispflanze, an der kein Botanikmuffel ungerührt vorbeikommt. Aufgeschreckt durch die erste Heuschnupfen-Attacke eines bis dato allergiefreien Lebens, sah ich dieses Frühjahr rundum gelb. Raps, den ich viele Jahre nur aus der schleswig-holsteinischen Fremdenverkehrswerbung oder als kitschigen Hintergrund noch kitschigerer Deckhengstporträts kannte, ist mittlerweile allgegenwärtig. Waren es vor einigen Jahren noch vereinzelte gelbe Einsprengsel in der Feldmark, durchaus erfreulich anzusehen, weil optisch abgefedert durch all das umgebende Grün, so haben die Rapsfelder inzwischen nahezu die Oberhand. Jetzt, beim Abblühen, umweht sie ein unverkennbares Odeur von faulen Eiern, ebenso unverkennbarer Hinweis auf einen hohen Eiweißgehalt der Pflanze. Doch kaum hat der Kreuzblütler Anfang Juni die exaltierte Farbe abgelegt und trägt wieder unauffällig mattes Tarngrün, mutiert er zum großen Unbekannten der Feldmark. Getreide identifiziert und kennt nahezu jeder Spaziergänger, doch was ist eigentlich Raps?
Der Kreuzblütler gilt als Allround-Nutzpflanze der Zukunft, als vielversprechende Neuentdeckung unter den nachwachsenden Rohstoffen. Doch die steile Karriere des schrillen Verwandten biederer Kohlköpfe ist viel eher ein Comeback. Schon einmal, vom späten Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert, war Raps ein begehrter, viel angebauter Energielieferant, ein Garant für technischen Fortschritt und Lebensqualität. Seine fetthaltigen Samen, in Ölmühlen gepresst, lieferten Rüböl, den ersten weithin erschwinglichen Lampenbrennstoff überhaupt.
So war es der Raps, der die finsteren Zeiten des Mittelalters beendete, waren es Rüböllampen, die Millionen von Menschen erstmals aus häuslicher Düsternis erlösten. Rüböl blieb die Hauptlichtquelle, bis es vom Petroleum abgelöst wurde. Es ist eine kleine ironische Revanche, dass sich heute ausgerechnet der aus Rapsöl gewonnene Biodiesel anschickt, dem siegreichen Konkurrenten Erdöl Marktanteile streitig zu machen.
Doch trotz dieser frühen, strahlenden Karriere ist Raps eine vergleichsweise junge Kulturpflanze. Er entstammt vermutlich der Kreuzung von wildem Gemüsekohl (Brassica oleacera) und Rübsen (Brassica rapa) im Mittelmeerraum. Er ist, unter anderem, eng verwandt mit Senf und Kohl, Rettich und Radieschen. Mit seinem Ölgehalt von über 40 Prozent ist Raps zwar eine der energiereichsten Nutzpflanzen überhaupt, war aber lange Zeit als Lebens- oder Futtermittel kaum brauchbar. Sein Gehalt an Erucasäure machte das Öl derart bitter, dass allenfalls noch bittere Not es auf die Tische brachte.
Das Abfallprodukt der Ölgewinnung, der Presskuchen, war zwar sehr eiweißreich, aber selbst für das Vieh nur mit Vorsicht zu genießen, enthielt es doch Glucosinolate, deren Abbauprodukte in höheren Dosen toxisch wirken. Lange kümmerte der Rapsanbau deshalb vor sich hin und lieferte fast ausschließlich technische Fette, bis Mitte der siebziger Jahre die Pflanzen-Designer so genannte Doppelnull-Rapssorten auf den Markt brachten. Denen hatte man die beiden unangenehmsten Eigenschaften weggezüchtet: das Bittere und das Giftige.
Rapsöl ist gesund, hat einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren und Vitamin E, Provitamin A und Vitamin K. Nachdem es ohne Reue genossen werden konnte, war der Weg zur zweiten großen Ackerkarriere frei, vor allem für den in Mitteleuropa bevorzugt angebauten Winterraps. Der wird im August gesät, bildet über Winter eine kräftige Pfahlwurzel aus, schießt im Frühjahr schnell in die Höhe, blüht zwischen April und Anfang Juni und entwickelt bis zur Ernte im Hochsommer Schoten mit kugeligen, schwarzbraunen Samen.
Für ungebetene Mitesser kann die neue Nutzpflanze allerdings fatal sein: Vor allem Rehe neigen dazu, sich mangels Alternativen am nicht mehr warnend bitteren Doppelnull-Raps buchstäblich zu Tode zu fressen.
Dem Bio-Tech-Gewerbe dagegen bekommt das Boom-Grün sehr. Mit einem Gen für Herbizidresistenz versehene Arten sollen dem modernen Landwirt irgendwann das »Unkrautmanagement«, wie es in der Sprache der Agrartechnologie heißt, leichter machen. Während alles unerwünschte Grün auf dem Acker chemisch zur Strecke gebracht werden kann, würde der genmanipulierte Raps die Giftdusche überleben.
Problematisch wäre so etwas in vielerlei Hinsicht. So ist Raps, einst aus freier Liebe entstanden, dieser nach wie vor überaus zugetan. Er kann sich mit vielen Verwandten, darunter einigen Wildkräutern, fruchtbar kreuzen und könnte diesen Bastarden theoretisch auch seine gentechnisch erworbene Herbizidresistenz mitgeben. Die Folgen: unabsehbar.
Brüsseler Auswüchse
Von Joachim Fritz-Vannahme
Die Doppelnull brachte den Aufschwung. Raps wurde in der Europäischen Union zur Erfolgsstory, seit es den Pflanzenzüchtern – ganz ohne gentechnische Assistenz – gelang, erst den bitteren Beigeschmack des Speiseöls durch Erucasäure zu tilgen und dann gar noch jenen Überschuss an Glucosinolaten zu mindern, der dem lieben Vieh auf die Gesundheit schlägt. Mitte der achtziger Jahre war es so weit: »00-Raps«, erucasäurefrei und glucosinolatarm, avancierte zum Liebling der Landwirte.
Bis dahin hatte die Anbaufläche in der Zeit vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik irgendwo zwischen bescheidenen 100000 und 200000 Hektar gelegen, heute dagegen wird Raps auf über einer Million Hektar angebaut, immerhin zehn Prozent der gesamten Ackerfläche Deutschlands und knapp ein Drittel der EU-Rapsflächen. Der Produktionswert für deutsche Bauern beträgt rund eine Milliarde Euro.
Die Spielregeln für den Anbau bestimmt und kontrolliert Brüssel. Bisher rechnete die zuständige Generaldirektion Landwirtschaft sämtliche Ölsaaten (neben Raps sind das vor allem Soja und Sonnenblumen) zu den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen wie Weizen oder Mais. Und doch auch wieder nicht, denn für Ölsaaten galten im Subventionssystem jahrelang Sonderregeln. Die werden jetzt gekippt. Die Hektarzahlungen für Raps werden den Flächenhilfen für Getreide angeglichen und damit auch jene Prämien für Flächenstilllegung, die für Getreide gelten.
Grund ist das Blair-House-Abkommen von 1992, das im Handelsstreit zwischen Washington und den Europäern Frieden stiften sollte und die Europäer auf Höchstflächen verpflichtete. Wo mehr bebaut wird, ist Strafe fällig. Nur bis zu einer bestimmten Rapsfläche gewährt darum die Europäische Union ihren Bauern Hilfen.
Seit Ende der neunziger Jahre wird in der Gemeinschaft, vor allem in Deutschland, Frankreich und im Vereinigten Königreich, zu viel Raps angebaut. Inzwischen entfällt auf das »Nebenprodukt« Bio-Diesel ein Drittel der gesamten deutschen Raps-Anbaufläche, in der EU sind es 750000 Hektar. Weltweit wurde die Rapsproduktion seit den achtziger Jahren mehr als verdoppelt, sie erreicht heute 14 Millionen Tonnen. Die größten Erzeuger sind China (etwa ein Drittel der Weltproduktion), die EU sowie Kanada. Und die Union, gleich hinter China der zweitwichtigste Rapskonsument, verbraucht den größten Teil ihres Öls selbst (von 3,7 Millionen Tonnen rund 3,3 Millionen).
An wertvollen einfach ungesättigten Fettsäuren – gut für Ihren Cholesterinspiegel! – hat Rapsöl fast so viel zu bieten wie das beliebte Olivenöl, mit dessen mediterranem Charme das teutonische Kohlgewächs freilich nicht mithalten kann.
Raps – eine Erfolgsgeschichte für Ernährungsbewusste? Nicht nur. Der zunehmende Appetit auf Fleisch hat vor allem in China und anderen Schwellenländern die Nachfrage nach Soja und Raps als Viehfutter belebt. Größter Abnehmer bleibt hier allerdings die EU.
In jüngerer Zeit begann der Raps seine vierte Karriere. Die Pflanze erlebt immer mehr Freisetzungsversuche nach gentechnischer Veränderung. Frankreich (mit 117 Experimenten), Großbritannien (103) und Deutschland (66) sind dabei führend. Sehr zum Verdruss der Gegner der grünen Gentechnik: Sie sehen in solchen Versuchen eine Aushöhlung der EU-Freisetzungsrichtlinie, die gentechnisch veränderten Raps zwar unter Aufsicht zulässt, alles manipulierte Saatgut im Handel freilich verbietet. Die Gentechnik soll vor allem die Herbizidresistenz erhöhen, denn praktisch überall, wo Winterraps ausgebracht wird, konkurrieren Klettenlabkraut oder Kamille mit dem Raps um Wasser, Licht und Nährstoffe.
Anmerkung Uli: sooo gesund ist Rapsöl nun auch wieder nicht - aus "allergologischer Sicht". Es reagieren nicht wenige Betroffene drauf - die, die auch auf die Pollen und den DUFT ( oder sollte man lieber schreiben: den Gestank???) reagieren. Dies aber nur als "zarter" Hinweis auf die allgemeinen Empfehlungen zu einer "gesunden" Ernährung zu verstehen
X(
Uli